Mehr zum Nagel-Schreckenberg-Modell
Von Christine Stegner im Rahmen ihrer Bachelorarbeit
Das Nagel-Schreckenberg-Modell wurde von Kai Nagel und Michael Schreckenberg entwickelt. Damit kann Verkehr simuliert werden. Besonders interessant ist es, die Entstehung von Staus zu beobachten und zu erforschen.
Die Straße wird als eine Anzahl von nebeneinanderliegenden Zellen dargestellt. Jede Zelle ist entweder leer oder enthält genau ein Fahrzeug. Jedes Fahrzeug besitzt eine ganzzahlige Geschwindigkeit zwischen 0 und der Maximalgeschwindigkeit vmax. Die Fahrzeuge bewegen sich von links nach rechts. Die Grenzen sind entweder periodisch oder offen.
Periodische Grenzen: Fahrzeuge, die rechts die Zellen verlassen, erscheinen von links wieder. Somit bleibt die Anzahl der Fahrzeuge immer gleich.
Offene Grenzen: Fahrzeuge, die rechts die Zellen verlassen, verschwinden einfach. Wenn die Zelle ganz links leer ist, so wird mit einer Wahrscheinlicheit, die der Dichte entspricht, ein neues Fahrzeug eingefügt.
D.h. wenn z.B. die Dichte 0,5 ist, so wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent ein neues Fahrzeug eingefügt, wenn die linke Zelle frei ist.
Für alle Fahrzeuge wird gleichzeitig die neue Geschwindigkeit und Position berechnet. Das Nagel-Schreckenberg-Modell gibt es in verschiedenen Varianten.
Das Standard-Modell hat einen Parameter p. Dieser gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs um eins verringert wird. So bedeutet z.B. p = 0,5 eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Es werden für alle Fahrzeuge gleichzeitig die folgenden Schritte ausgeführt:
- 1. Beschleunigung:
Falls das Fahrzeug noch nicht die Maximalgeschwindigkeit vmax erreicht hat und der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug größer als die aktuelle Geschwindigkeit des Fahrzeugs ist, so wird seine Geschwindigkeit um eins erhöht.
- 2. Abbremsen aufgrund des vorausfahrenden Fahrzeugs:
Falls der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug kleiner als die aktuelle Geschwindigkeit ist, so wird die Geschwindigkeit auf den Abstand verringert.
- 3. Zufällige Geschwindigkeitsverringerung:
Mit Wahrscheinlichkeit p wird die Geschwindigkeit des Fahrzeugs um eins verringert, falls sie nicht bereits 0 ist.
- 4. Fahrzeugbewegung:
Das Fahrzeug wird so viele Zellen nach rechts bewegt, wie seine aktuelle Geschwindigkeit ist.
Das deterministische Modell ist ein Spezialfall des Standard-Modells, bei dem p = 0 gesetzt wurde. Das bedeutet, Schritt 3 des Standard-Modells entfällt.
Es existiert eine kritische Dichte, für die der Fluss maximal ist:
Ein Tempomat hält die Geschwindigkeit bei Maximalgeschwindigkeit und ausreichend viel freier Fahrbahn konstant. In der Simulation wird das wie folgt umgesetzt:
Zuerst wird für jedes Fahrzeug einer der folgenden drei Schritte ausgeführt:
- Ein Fahrzeug, das mit Maximalgeschwindigkeit vmax fährt und mindestens vmax freie Zellen vor sich hat, behält seine Geschwindigkeit bei.
- Für die Fahrzeuge, für die das vorherige nicht gilt (die also nicht mit Maximalgeschwindigkeit fahren oder nicht genügend freie Zellen vor sich haben), wird einer der folgenden beiden Schritte ausgeführt:
- Beschleunigung: Wenn der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug größer als die aktuelle Geschwindigkeit ist, so beschleunigt das Fahrzeug mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent um eins, andernfalls behält es seine Geschwindigkeit bei.
- Abbremsen aufgrund des vorausfahrenden Fahrzeugs: Ein Fahrzeug, dessen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug kleiner oder gleich seiner Geschwindigkeit ist, verringert seine Geschwindigkeit auf den Abstand. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent überreagiert der Fahrer und bremst noch um eins weiter ab, falls seine Geschwindigkeit nicht schon vorher 0 war.
Danach wird jedes Fahrzeug um so viele Zellen nach rechts bewegt, wie es seiner Geschwindigkeit entspricht.
Auch ein Tempomat kann die Geschwindigkeit nicht vollkommen konstant halten. Deshalb wird beim verallgemeinerten Tempomat-Modell auch für Fahrzeuge mit Maximalgeschwindigkeit und ausreichend viel freier Fahrbahn die Geschwindigkeit mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit reduziert.
Das verallgemeinerte Tempomat-Modell basiert auf dem Standard-Modell, in dem Schritt 3 durch folgenden Schritt ersetzt wurde:
- Ein Fahrzeug mit Maximalgeschwindigkeit vmax und einem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug größer als seine Geschwindigkeit reduziert seine Geschwindigkeit um eins mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit von 0,5 Prozent.
- Fahrzeuge, auf die das nicht zutrifft (d.h. ihre Geschwindigkeit ist kleiner als vmax oder der Abstand ist kleiner oder gleich ihrer Geschwindigkeit), reduzieren ihre Geschwindigkeit mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent um eins.
Das verfeinerte Modell hat die vier Parameter pacc (acc für ''acceleration'' = Beschleunigung), psld (sld für ''slowdown'' = Abbremsen), pfree (free für ''free driving'' = freies Fahren) und pptn (ptn für ''platoon'' = Fahren in der Kolonne). Damit kann der Einfluss folgender Verhaltensweisen und Maßnahmen untersucht werden:
- schnellerere Beschleunigung
- Abbremsen genau bis zur notwendigen Geschwindigkeit
- reduzierte Geschwindigkeitsschwankungen beim Fahren mit Maximalgeschwindigkeit und ausreichend viel freier Fahrbahn, das entspricht der Verwendung eines Tempomats
- Fahren mit annähernd gleichbleibender Geschwindigkeit in der Kolonne
Die neue Geschwindigkeit für jedes Fahrzeug berechnet sich wie folgt:
- Beschleunigung:
Wenn ein Fahrzeug noch nicht mit Maximalgeschwindigkeit fährt und sein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug größer als seine aktuelle Geschwindigkeit ist, so wird seine Geschwindigkeit mit Wahrscheinlichkeit 1 - pacc um eins erhöht.
Somit entspricht ein kleiner Wert von pacc einer schnellen Beschleunigung.- Abbremsen:
Ist der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug geringer als die aktuelle Geschwindigkeit, so wird die Geschwindigkeit auf den Abstand reduziert, wobei mit Wahrscheinlichkeit psld überreagiert wird und die Geschwindigkeit noch um eins weiter verringert wird, falls sie positiv ist.
- Freies Fahren:
Ein Fahrzeug, welches mit Maximalgeschwindigkeit fährt und einen Abstand größer als seine Geschwindigkeit hat, reduziert seine Geschwindigkeit mit Wahrscheinlichkeit pfree um eins.
- Fahren in der Kolonne:
Ein Fahrzeug, das sich in einer Kolonne befindet, d.h. seine Geschwindigkeit ist gleich dem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, reduziert seine Geschwindigkeit mit Wahrscheinlichkeit pptn um eins, falls sie positiv ist.
Danach wird das Fahrzeug um so viele Zellen nach rechts bewegt, wie es seiner Geschwindigkeit entspricht.
Literatur
[1] Nagel, Kai: High-speed microsimulations of traffic flow, Universität zu Köln, Diss., 1994. e-archive.informatik.uni-koeln.de/183/
[2] Nagel, Kai; Herrmann, Hans J.: Deterministic Models for Traffic Jams. In: Physica: europhysics journal; A, Statistical mechanics and its applications 199 (1993), Nr. 2, 254–269. e-archive.informatik.uni-koeln.de/133/
[3] Nagel, Kai; Schreckenberg, Michael: A cellular automaton model for freeway traffic. In: Journal de physique I 2 (1992), Nr. 12, S. 2221–2229